Jordis – Glückspilz aus der Tötungsstation

Jordis war erst ein halbes Jahr alt, als sie im Dezember 2012 in einer ungarischen Tötungsstation abgegeben wurde. Aufgabe dieser Station ist es, streunende Hunde aufzunehmen und zu töten, falls sie nicht umgehend, innerhalb von etwa zwei Wochen, abgeholt werden. Offizielles Ziel ist die Seuchenbekämpfung, tatsächlich werden aber auch kranke und unerwünschte Tiere dort von ihren Haltern entsorgt. Wahrscheinlich ist auch unsere Jordis, die ursprünglich einen anderen Namen trug, auf diese Weise dort angekommen. Wir können nur vermuten, dass sie jemand scheinbar günstig erstanden hat und nach Auftreten der ersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen die Behandlungskosten und persönlichen Mühen, die ein kranker Hund nun einmal mit sich bringt, nicht tragen konnte oder wollte.


Jordis hatte Glück. Ungarische Tierschützer haben sie entdeckt und BSiN einen Hinweis gegeben. Kurz vor dem Tötungstermin ist es gelungen, sie zu befreien und nach Österreich in eine Pflegestelle zu bringen. Dort fielen ihr anormaler Gang, die entzündeten Augen und das Röcheln beim Atmen auf. Bei einer ersten tierärztlichen Untersuchung am 24. Dezember 2012 wurde eine schwere Hals- und Augenentzündung festgestellt. Schnell kam die Vermutung auf, dass auch die Hüften erkrankt sind. Der Röntgenbefund im Januar 2013 bestätigte den schlimmen Verdacht: Jordis leidet an hochgradiger Hüftdysplasie mit hochgradiger Coxarthrose beiderseits, also eine Fehlstellung der Hüftgelenke mit daraus resultierender Arthrose, außerdem an Arthrose an beiden Ellbogengelenken. Es sollten künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden; weitere Untersuchungen der Ellbogen wurden für erforderlich gehalten. Für BSiN war schnelle Hilfe Ehrensache. Es wurde ein Spendenaufruf gestartet, um die erheblichen Arztkosten begleichen zu können. Zur Begleitung der Operationen und der anschließenden Rehabilitation wurde eine spezielle Pflegefamilie gesucht.


Schon bald zeigte sich, dass die Kosten kein unüberwindbares Problem darstellten. Wesentlich schwieriger gestaltete sich die Suche nach einer Pflegestelle. BSiN hatte hier die Messlatte aus guten Gründen sehr hoch angelegt. Wir hatten bereits seit längerer Zeit Jordis Schicksal im Internet verfolgt, fühlten uns aber zunächst nicht angesprochen. Allerdings wurde bereits bei unserem Glückspilz Olli eine beidseitige Hüftdysplasie mit bestem Erfolg operativ behandelt. Bei einem Telefongespräch mit unserer BSiN-Betreuerin kam daher fast zwangsläufig auch Jordis zur Sprache. Es passten zwar nicht alle äußeren Bedingungen. Andererseits aber ist unser nur wenige Autominuten entfernt praktizierender Tierarzt ein ausgewiesener Spezialist für Gelenkerkrankungen. Außerdem hatten wir mit Olli einschlägige Erfahrungen gesammelt und konnten kurzfristig Urlaub nehmen. So kam es, dass schneller als erwartet ein dritter Hund unser kleines Rudel verstärkte.


Bis dahin hatte sich Jordis in ihrer ersten Pflegestelle zum Liebling und Traumhund entwickelt. Trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer schweren Erkrankung war sie immer eine ganz besondere Hündin. Mit bewegenden Worten wurde sie verabschiedet: „Ich werde sie vermissen, die guten, die schlechten, die sanften, die wilden, die leisen, die lauten, die schwierigen, die leichten, die albernen, die angstvollen, die herzlichen, die furchtlosen, die ungeduldigen, die folgsamen, die sanftmütigen, die fröhlichen, ja all die tollen Momente, die wir mit einer so tollen Bernermaus erleben durften!“


Es war Jordis deutlich anzumerken, wie sehr ihr die Pflege dort geholfen hat. Trotz der Erfahrungen in der Tötungsstation und ständigen Schmerzen entstand nie der Eindruck eines traumatisierten Hundes. In der Anfangszeit schien sie manchmal etwas traurig zu sein, aber immer war unser Olli zur Stelle, um sie aufzumuntern. Olli und Jordis haben sich von Anfang an gemocht. Es scheint, als ob sich die beiden bunten Notfälle gesucht und gefunden haben. Inzwischen ist Jordis genauso lebensfroh und aufgeweckt wie Gute-Laune-Olli. Bis es dazu kam, waren jedoch noch einige schwere Wochen zu überstehen.


Nach ihrer Ankunft bei uns wurde Jordis erneut dem Tierarzt vorgestellt. Von der ursprünglichen Überlegung, Prothesen einzusetzen, wurde schnell Abstand genommen. Aufgrund der flachen Ausbildung der Gelenkpfannen bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen kommt. Auf Anraten des Tierarztes fiel die Entscheidung, das linke Hüftgelenk mit einer Beckenumstellung, der dreifachen Beckenosteotomie, zu versorgen und es dadurch auf Dauer zu erhalten. Dabei wird die Hüftgelenkspfanne so umgestellt, dass der Oberschenkelkopf wieder festen Halt im Gelenk bekommt. Das rechte Hüftgelenk war schon zerstört. Daher erfolgte eine Femurkopf-Halsresektion, also eine Entfernung von Oberschenkelkopf und -hals. Im Laufe der Zeit bildet sich ein "Pseudogelenk", das durch Bindegewebe und Muskulatur stabilisiert wird. Für beide Ellbogengelenke besteht chirurgisch leider keine Behandlungsmöglichkeit. Bei zeitweise auftretenden Arthritisschüben muss eine Medikation mit Schmerzmitteln erfolgen, die aber nur situationsbezogen erforderlich ist. Mit diesen Maßnahmen hat Jordis gute Aussichten auf ein beschwerdefreies Leben.


Am 31. Mai ging es los. Die Operation verlief komplikationsfrei, und Jordis wurde schon am ersten Tag mit Hähnchenbrustfilet und Reis verwöhnt. Bereits nach wenigen Tagen konnte sie im Garten erste Schritte ohne Leine machen. Die Arzttermine waren für sie völlig entspannend. Beim Ziehen der Fäden ist sie sogar auf dem Behandlungstisch eingeschlafen! Auch die folgenden Wochen verliefen problemlos. Jordis konnte kurze Spaziergänge mitmachen und durfte kurz vor der nächsten Operation ein Hundeschwimmbad besuchen. Am 17. Juli wurde sie zum zweiten Mal operiert, auch diesmal mit Erfolg.


In der Zwischenzeit ist Jordis immer mehr Bestandteil unserer Familie geworden. Die schweren Operationen, die Freude über die kleinen und großen Fortschritte, all das führte zu einer tiefen persönlichen Bindung. Vor allem aber ist es schön zu sehen, wie Olli und Jordis zueinander gefunden haben. Olli schafft es, Jordis immer wieder zum Nachmachen zu animieren und ist damit mindestens genau so erfolgreich wie ein zweibeiniger Physiotherapeut. Als diese Zeilen geschrieben wurden, konnte Jordis bereits normale Spaziergänge machen und sogar schnellen Schrittes laufen. Sie humpelt zwar noch, aber das tut ihrer Lebensfreude keinen Abbruch. Das Gangbild wird sich im Lauf der nächsten Monate auch noch bessern, aber auf Äußerlichkeiten kommt es gar nicht an. Das wichtigste Ziel, ihr Beschwerdefreiheit und Lebensfreude zu geben, ist jetzt schon erreicht. So endet unsere Glückspilz-Geschichte fast schon zwangsläufig damit, dass wir Jordis auf Dauer ein Zuhause geben. Wir freuen uns über viele schöne Erlebnisse mit ihr, Olli und natürlich unserer ersten Bernerin Bella.